Unmittelbar nach dem Schrammel Workshop 2023 habe ich mit der Komposition einer Schrammelmesse begonnen. Die erste Notiz habe zum „Dsuadraum“, dem Agnus Dei, niedergeschrieben, Skizze um Skizze hat sich aneinandergefügt, als erstes Lied ist Friedenskini fertig geworden.
Die Wiener Schrammelmesse — Einführung
Die Wiener Schrammelmesse folgt dem Proprium und dem Ordinarium der römisch-katholischen Messe und schmückt in ihrer eigenen Art die Feier der Eucharistie.
Sie eröffnet mit einem „Oesdan“ (Introitus, Eingangslied) und ermuntert die Gläubigen, sich in rechter Weise auf die Spannung der eucharistischen Feier einzulassen. In dem „Daboam di“ (Kyrie, Herr erbarme dich) werden Momente des göttlichen Erbarmens aus der Heilsgeschichte erzählt. Das „Hochleem“ (Gloria, Ehre) soll stets an Weihnachten erinnern. Die „Heatssnsgob“ (Credo, Glaubensbekenntnis) erinnert an jene, die Gott mehr geglaubt haben als den Menschen. Die „Godsgab“ (Gabenbereitung, Offertorium) erinnert uns an die guten Gaben, mit welchen Gott täglich alle Menschen nähren kann. Das „Andaschd“ (Sanctus, Heilig) möge seinem Character nach immer eine Besonderheit aufweisen, um so dem hebräischen Wort kadosch zu genügen. Das „Dsuadraun“ (Agnus Dei, Lamm Gottes) erinnert an das „Daboarm di“ und endet mit dem tiefen Frieden, den Gottes Barmherzigkeit erwirkt. Beim „Dsamghean“ (Communion, Kommunion) entsagt die fromme Wiener Seele jeglicher Musik und ruht in stiller Anbetung (1). Das „Eago“ (Danklied) bereitet die Gläubigen auf die nächsten guten Taten vor.
Besetzung
Diese Schrammelmesse in D-Dur Host scho gheat ist für 3 Singstimmen (Sopran, Alt, Bariton) und Gemeindegesang komponiert. Instrumente wie Gitarre, Kontragitarre, Orgel, Akkordeon, Geige, Querflöte können sich wahlweise dazugesellen. Anstelle der Singstimmen kann auch ein gemischter Chor den gesungenen Part übernehmen.
Entstehungsgeschichte
Wie schon ganz zu Beginn dieses Weblogs geschrieben, habe ich die erste Notiz am 15. JUL 2023, Samstag um 0550 Uhr in der Früh, gemacht.
Wolfgang Teuschl hat mit seiner Übertragung des Neuen Testaments ins Wienerische bereits vor einem halben Jahrhundert den Grundstein gelegt, um die Texte für diese Komposition zu schreiben. Beim Lied „Im Kawinet“ (Eago, Danklied) habe ich ihn mit mehreren Zitaten zu Wort kommen lassen (4, 5).
Beim Schrammel Workshop 2024 habe ich meinen Lehrern Peter Havlicek, weiland Walther Soyka, Klemens Lendl die Version für Gitarre und Gesang vorgespielt. Mit deren Hilfen und Anregungen habe ich die Partitur am 19. August 2024 fertiggestellt.
Die Lieder der Schrammelmesse
Die angeführten Titel für Proprium und Ordinarium referenzieren zum Teil auf ausgewählte Worte, die Wolfgang Teuschl in seiner Übersetzung „Da Jesus und seine Hawara“ verwendet hat.
Die Lieder erzählen in freier Form das eine oder andere Gleichnis aus der Heiligen Schrift, pointieren die eine oder andere menschliche Schwäche, sind andeinandergefügte Zitate aus der Bibel. Das in Klammern angeführte (Datum) erinnert an den Tag der ersten Notiz zu diesem Lied. sBlattsal und Friedenskini hat Retamurante Anfang 2025 im Bockkeller und zu Weihnachten 2024 zu Gehör gebracht.
- Oesdan: „Und wia daun …, haum die Schofhoeda gmaand: ‚Oesdan, hau ma uns noch Betlehem …'“ (Lk 2,15; Teuschl, p. 23).
Mit dem Friedenskini (2023-08-14) eröffnet die Schrammelmesse und erzählt von der Neugier, diesen Friedensfürsten (Jes 9,5) kennenzulernen. - Daboam di: „Jesus, Sohn Davids, erbarme dich meiner.“
Das Lied Lewendiga (2023-07-16) singt von der Heilung des blinden Bartimäus bei Jericho (Mk 10,46-52). - Hochleem: „Da Heagod hoch droomad soe hochleem“ (Lk 2,14; Teuschl, p. 23).
Eine ganz gewöhnliche Nacht besingt die Gemeinde im Kanon Lilien (2023-07-15). - Heatssnsgob: glauben — credo — cor dare — das Herz (hin)geben.
Nicht vertont. - Godsgab: „Des Brod is a Godsgab, damit schmeißt ma ned um.“ Erich Pürcher, Grundlsee (1931-2022).
sBlatssal (2023-08-05) zeigt sich ganz zuversichtlich, dass alles seinen Platz findet. - Andaschd: etwas Besonderes, hebräisch kadosch.
Nach einer ganz eigenen Einleitung erklingt der Kanon Foi fein (2023-07-20). - Dsuadraun: Seht, das Lamm Gottes! (Joh 1, 29). „Dea Büücha owa hod si gaunz hint in a Wingal drukkd und hod si ned amoe schaun draud …“ (Lk, 18,13; Teuschl, p. 97).
Die Schuld der Welt ist hinweggenommen, Hochweiß (2023-07-15) stehen wir da. - Dsamghean: das Gemeinsame, in Beziehung sein.
Zur Kommunion hören wir Schdü (2024-03-30). - Eago: Das lateinische ergo (infolgedessen, demnach, also, deshalb) denkt über die Folgen der Eucharistiefeier nach.
Im Kawinet (2023-08-19) kann jeder Mensch ganz ohne Scham beten.
XAIPE, Stefan Vetter.
2025-02-23.
Anmerkungen
(1) Die Messe, das Herz der Kirche, Be&Be-Verlag, Heiligenkreuz im Wienerwald, 2000. Hg.: P. Johannes Paul Chavanne OCist.
_ In diesen Katechesen über die Eucharistie ermahnt Papst Franziskus „eindringlich“, den „Augenblick der Stille zu bewahren“ (p. 15; vgl. pp. 18, 23, 32, uswusf.).
_ Dieser Absicht bin ich musikalisch nachgekommen, John Cage hat diese Eindringlichkeit mit seinem 4’33“ schon 1952 ur aufgeführt, Mozart schreibt man das Dictum zu, die Stille zwischen den Noten sei genauso wichtig wie die Noten selbst.
_ Meine ursprüngliche Absicht 2021 ist gewesen, diese Katechesen als Lieder zu vertonen, um sich den Inhalt leicht merken zu können. Entstanden ist stattdessen Host scho gheat.
(2) Peter Havlicek verdanke ich den Hinweis auf die Schrammel-Messe („Fieberkreuzmesse“) von Herbert Prikopa (1935-2015). Einige der damals Mitwirkenden werden auch bei der Aufführung der Schrammelmesse Host scho gheat wieder dabei sein.
(3) Wolfgang Teuschl, Da Jesus und seine Hawara. Gelesen von Kurt Sowinetz. youtube.com.
(4) Wolfgang Teuschl, Da Jesus und seine Hawara, 1981. 4. Auflage, Verlag Karl Schwarzer, Purkersdorf/Wien.
(5) Maria Hornung, Sigmar Grüner, Wörterbuch der Wiener Mundart. ÖBV&HPT, 2. Auflage, Wien 2022.
(6) Der Bibelleseraum der Universität Innsbruck
(7) Bibelwissenschaft.de
(8) Das Titelbild zeigt die Einstrichzeichnung Ohne Titel vom 30. September 2021.
Composition, Zeichnung, Foto
© 2021-2025 Stefan Vetter. Stefan Vetter, Text und Musik, mit Zitaten von Wolfgang Teuschl.
Über den Autor
Stefan Vetter komponiert und musiziert seit seinen Jugendjahren. Erst mit dem Jahr 2021 hat er begonnen, seine Lieder systematisch zu sortieren und so einer breiteren Öffentlichkeit vorzustellen.